Metodo

International Studies in Phenomenology and Philosophy

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215748

Paradigmatologisches Denken

Die vielen Gründungsszenen des Michel Foucault

Sina Farzin

pp. 175-186

Abstract

Die Arbeitsweise, die Michel Foucault im Bild des Stolperns vielleicht auch ein wenig kokett reflektiert, hat ihm und seinem Werk viel Kritik beschert. Zu unbeständig, zu wenig kohärent seien seine theoretischen Begriffe; zu punktuell, zu wenig repräsentativ sein Umgang mit empirischen Daten. Kritik und Gegenrede sind bekannt und an vielen Stellen dargelegt und dokumentiert worden. Und trotz der teilweise bis zur persönlichen Diffamierung reichenden reflexhaften Abwehrgesten ist Foucault heute kaum der Rang eines etablierten Autors in den Sozial- und Kulturwissenschaften abzusprechen. Die sich in diesen intensiven Auseinandersetzungen widerspiegelnde Faszination des Foucaultschen Denkens kann dabei nicht, soviel lässt die Kritik erahnen, auf die Stringenz, Kohärenz oder Universalität seiner Arbeiten zurückgeführt werden. Will man deren Abwesenheit nicht einfach als Defizit, als Makel, sondern als Resultat einer bestimmten Methode des Denkens verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Gründungsszenen in Foucaults Werk. Das ‚Stolpern" entpuppt sich dann als eine enge Verzahnung jener "Fetzen von Weltstoff" (vgl. die Einleitung zu diesem Band) und begrifflicher Abstraktion, die den Kern des Konzepts der Gründungsszene ausmachen. Im Folgenden soll als "Gründungsszene" also nicht der biographische oder soziale Kontext verstanden werden, in dem ein Autor eine Theorie entwickelt (vgl. hierzu den Beitrag von Schimank in diesem Band). Unter einer Gründungsszene wird hier vielmehr eine konkrete Beobachtung der Wirklichkeit verstanden, die als Irritation, Problem oder Inspiration Theoriebildung anstößt. Im Gegensatz zu nachträglich herangezogenen illustrierenden beispielhaften Schilderungen kommt den in meinem Beitrag diskutierten Gründungsszenen also eine begriffsgenerierende Funktion zu. Dabei sind die beschriebenen Szenen nicht einfach neutrale, realistische Versatzstücke, sondern strategisch formulierte und umgeformte Verweise auf einen Welthorizont. Foucaults ‚Stolpern", so soll im Folgenden aufgezeigt werden, ist keine Anecken an zufälligen Bruchstücken, sondern die gezielte Fabrikation von Gründungsszenen, die zum Ausgangspunkt weitgreifender Analysen werden. Als durchgehende Methode zeugt dieses Vorgehen von der produktiven Kraft des Szenischen für die Theoriebildung und lässt das Foucaultsche Werk selbst zum Paradigma eines Denkens in Gründungsszenen werden.

Publication details

Published in:

Farzin Sina, Laux Henning (2014) Gründungsszenen soziologischer Theorie. Dordrecht, Springer.

Pages: 175-186

DOI: 10.1007/978-3-531-19801-9_13

Full citation:

Farzin Sina (2014) „Paradigmatologisches Denken: Die vielen Gründungsszenen des Michel Foucault“, In: S. Farzin & H. Laux (Hrsg.), Gründungsszenen soziologischer Theorie, Dordrecht, Springer, 175–186.