Metodo

International Studies in Phenomenology and Philosophy

Book | Chapter

215273

Pierre Bourdieu

Zur Kultursoziologie und Kritik der symbolischen Gewalt

Stephan Moebius

pp. 55-69

Abstract

Pierre Bourdieu gehört neben Raymond Boudon, Alain Touraine und Michel Crozier zu den vier "modernen Klassikern", die seit 1960 eine geradezu paradigmatische Funktion innerhalb der französischen Soziologie einnehmen (vgl. Moebius/Peter 2004b). Im Vergleich zu den anderen drei Soziologen führt sein Denken nicht nur die Tradition der Durkheim- Schule am deutlichsten fort (vgl. Moebius 2006a), sondern Bourdieu knüpft auch am konsequentesten an die strukturalistische Kulturtheorie von Claude Lévi-Strauss an, indem er sie gleichzeitig überschreitet (vgl. Reckwitz 2000: 308; Moebius/Peter 2009a): Die strukturalistische Kulturtheorie wird von ihm unter Ausarbeitung des noch zu klärenden "Habitus- Begriffs' in eine "Theorie sozialer Praxis' transformiert (vgl. Bourdieu 1978), "die sich sowohl von der subjektivistischen Theorie des intentionalen Bewusstseins als auch von der objektivistischen Theorie des unbewussten Geistes distanziert […]." (Reckwitz 2000: 310). Er knüpft dabei unter anderem unmittelbar an Denkansätze des Durkheim-Schülers und Vorreiters der strukturalistischen Kulturtheorie, Marcel Mauss, an (vgl. Moebius 2006a, 2009a), indem er zum Beispiel verstärkt den Blick auf die "Techniken des Körpers", die "praktische Vernunft", die Klassifikationsformen, die Relationen und die Entstehung übersubjektiver symbolischer Sinnzusammenhänge lenkt. Ferner ist er von der Epistemologie von Gaston Bachelard und Georges Canguilhem geprägt (vgl. Moebius/Peter 2009b). Angelehnt an Bachelards Konzept des "epistemologischen Bruchs' kritisiert Bourdieu nicht nur eine alltägliche Sichtweise der sozialen Welt, sondern auch spezifische "Spielarten" der Soziologie, die nur deshalb auf den ersten Blick eine besondere Evidenz erlangen, weil sie "ihre wissenschaftliche Fragestellung um Termini aus dem vertrauten Wortschatz der Alltagssprache aufbauen" (Bourdieu et al. 1991: 26). In der Soziologie seien Mischtermini oder Mischschemata besonders beliebt, die ihre "pseudo-explikative Leistung" genau dieser doppelten Zugehörigkeit zu den "naiven wie wissenschaftlichen Äußerungen" verdanken und "ihre Herkunft aus der Umgangssprache unter dem Zierrat des wissenschaftlichen Jargons' kaschieren (Bourdieu et al. 1991: 27) – man denke etwa an Begriffe wie "Massen-", "Informations-" oder "Kommunikationsgesellschaft". Stattdessen gelte es, einen Bruch mit dem Alltagswissen herbeizuführen. Darüber hinaus greift er auch auf Theorieansätze von Max Weber, Karl Marx und Norbert Elias zurück, mit Hilfe derer er einerseits Herrschaftsmomente und andererseits die spezifische historische Entwicklung symbolischer Sinnsysteme in den Blick nimmt.

Publication details

Published in:

Moebius Stephan, Quadflieg Dirk (2011) Kultur: Theorien der Gegenwart. Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften.

Pages: 55-69

DOI: 10.1007/978-3-531-92056-6_5

Full citation:

Moebius Stephan (2011) „Pierre Bourdieu: Zur Kultursoziologie und Kritik der symbolischen Gewalt“, In: S. Moebius & D. Quadflieg (Hrsg.), Kultur, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften, 55–69.