Metodo

International Studies in Phenomenology and Philosophy

Book | Chapter

197762

Häute machen Leute, Leute machen Häute

Willy Viehöver

pp. 289-313

Abstract

So viel Körper wie derzeit gab es nie im westlichen Kulturkreis, meinte vor wenigen Jahren der Soziologe Robert Gugutzer (2007). Der Körper hat in verschiedenen sozialen Praxisbereichen und alltäglichen Lebenszusammenhängen eine qualitative Aufwertung erfahren; er ist in unterschiedlichsten Handlungsbereichen, das Feld der ästhetisch-plastischen Chirurgie darf dafür als ein prominentes Beispiel gelten, Kult. Ich glaube jedoch, dass viele, die heute von Körperkult sprechen, sich dabei der zivil-religiösen, subjekt- und identitätsbezogenen Implikationen, die in ihrer Aussage mitschwingen, kaum bewusst sind (vgl. Bührer-Lucke 2005). Um diese Implikationen explizit zu machen, schlage ich deshalb vor, die Rede vom Körperkult in den Kontext des Kults der Person zu stellen. Den Kult der Person aber beschrieb Emile Durkheim (1992: 469 ff.) als den zentralen Pfeiler des säkularen Kollektivbewusstseins moderner arbeitsteiliger Gesellschaften. Angesichts der zunehmenden Bedeutung des Körpers fragt man sich jedoch, ob der Kult der Person auch heute noch den zivilreligiösen Kern der modernen, noch weitaus stärker individualisierten Gesellschaften bildet. Der abendländische Rationalisierungsprozess stellte vorwiegend die Entwicklung der geistig-moralischen Fähigkeiten und kognitiven Kompetenzen ins Zentrum der Aufmerksamkeit der (bürgerlichen) Subjektivierung und Identitätsbildung (vgl. Reckwitz 2006). Das protestantische Ethos, das u. a eine Reformation des Körpers mitbedingte, und der Cartesianismus, mit seiner Differenzierung von Geist und (Maschinen-)Körper, bereiteten dabei das Terrain für eine weitgehende Verdrängung oder Marginalisierung des Körpers im Subjektivierungsdiskurs, obgleich die betreffenden Wissensordnungen doch die methodische Disziplinierung des materialen Körpers und seiner Affekte zum Gegenstand hatten (Mellor/Shilling 1997; Turner 1996; Elias 1980).

Publication details

Published in:

Keller Reiner, Meuser Michael (2011) Körperwissen. Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften.

Pages: 289-313

DOI: 10.1007/978-3-531-92719-0_14

Full citation:

Viehöver Willy (2011) „Häute machen Leute, Leute machen Häute“, In: R. Keller & M. Meuser (Hrsg.), Körperwissen, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften, 289–313.