Metodo

International Studies in Phenomenology and Philosophy

Book | Chapter

184689

Grenzen und Relationen

Athanasios Karafillidis

pp. 69-95

Abstract

Wer über Grenzen spricht, muss auch über Relationen sprechen. Neuere Untersuchungen zu sozialen Grenzen aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln bestätigen diese Annahme.1 Für eine "relationale Soziologie" ist sie sogar programmatisch, denn unter dieser Bezeichnung versammeln sich seit einiger Zeit Versuche, empirische Gegebenheiten gleich welcher Art als Netzwerke von Relationen zu beschreiben (Emirbayer 1997; Wellman 1988). Insofern mahnt das Adjektiv "relational" nicht einfach an, dass die Soziologie außer Handlungen, Akteuren, Normen, Rollen oder Institutionen nun auch Relationen beachten müsse. Vielmehr macht es darauf aufmerksam, dass prinzipiell keine soziale Einheit als selbstverständlich hingenommen werden kann und deshalb alle interessierenden Phänomene, also auch Handlungen, Akteure, Normen, Rollen oder Institutionen, als Effekte einer bestimmten Relationierung von Relationen begriffen werden müssen. Der primäre Fokus liegt dann nicht mehr auf Subjekten und Objekten oder auf Akteuren und Intentionen, sondern auf Relationen. Das verändert zwangsläufig unsere Sicht auf die soziale Welt und dementsprechend auch auf das, was wir unter sozialen Grenzen verstehen. Aber weitaus schwerer wiegt der Umstand, dass sich durch diese Umstellung auch die Möglichkeiten der soziologischen Theoriebildung verändern. Nicht nur jede soziale Einheit und jedes Phänomen stehen auf dem Prüfstand, sondern auch die Formen ihrer begrifflichen und theoretischen Erfassung. Es werden mitunter andere Grundbegriffe erforderlich. Da eine relationale Herangehensweise in erster Linie von einer Verwunderung darüber lebt, wie distinkte Identitäten, begrenzte soziale Bereiche und abgegrenzte Sinndomänen aus Netzwerken von Relationen heraus entstehen (Emirbayer 1997: 303 f.), rückt die Frage in den Mittelpunkt, wie unterscheidbare Einheiten empirisch entstehen. Der Begriff der Relation verweist also grundlegend und immer auf Grenzfragen. Das ist die wahrscheinlich auffälligste Konsequenz einer relationalen Problemstellung: Grenzen sind sowohl Forschungsgegenstand als auch Begriff. Wer über Relationen spricht, muss auch über Grenzen sprechen.

Publication details

Published in:

Arendt Fuhse Jan, Mützel Sophie (2010) Relationale soziologie: zur kulturellen Wende der Netzwerkforschung. Dordrecht, Springer.

Pages: 69-95

DOI: 10.1007/978-3-531-92402-1_4

Full citation:

Karafillidis Athanasios (2010) „Grenzen und Relationen“, In: J. Arendt Fuhse & S. Mützel (Hrsg.), Relationale soziologie, Dordrecht, Springer, 69–95.